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Neuer Beitrag (September 2015):
Das Abenteuer mit den monglischen Pferden
Einschränkung
Es ging mir nicht so sehr darum, mongolische Pferde nach Europa zu bringen,
ausgerechnet mongolische Pferd. In Europa gibt es Hunderte von Pferderassen,
insbesondere Kleinpferde-Rassen. Man brauchte nicht unbedingt eine weitere
Rasse.
Aber es hatte noch niemand den Versuch unternommen, Pferde aus der Mitte
Asiens nach Europa zu bringen, und wenn es doch versucht wurde, so ist es noch
jedes Mal misslungen.
Über Jahre hin bin ich jeden Weg gegangen, bis er gewissermaßen im Sand der
Gobi endete.
Dann fand ich endlich Kontakt zu einem altgedienten mongolischen
Amtstierarzt, den vor allem eines auszeichnete: er hatte viele Kontakte, auch
zu den Kollegen jenseits der russisch-mongolischen Grenze. Man kannte sich, man
verstand sich, zumal jenseits der Grenze Tuwiner leben, Mongolen und doch keine
eigentlichen Mongolen.
Dieser Tierarzt bot an, er könnte die Pferde, die ich bei seinem guten
Freund kaufen würde, gewissermaßen einem Bekannten jenseits der Grenze
weiterverkaufen, und dort könnte ich sie durch einen russischen Bekannten
abholen lassen.
Pferdekauf in der Mongolei ist eine denkbar einfache Sache. Hier sind meine
zweihundert Pferde, sagte der Freund des Tierarztes zu mir. Setze dich auf ein
Pferd und wähle aus, was du haben willst. - Binnen einer Stunde konnte ich ihm
ein Dutzend Pferde zeigen, die in die engere Wahl kamen.
Zurück in die Aimag-Hauptstadt Ulaangom. Im Hotel sitzt ein Europäer mit
einem gewichtigen Mongolen und 'gewichtig' bedeutet 'bedeutender Stadtmongole'.
Der Europäer war sogar Deutscher, ja sogar Wissenschaftler der Tiermedizin und
der Mongole der Leiter des zentralen mongolischen Veterinärlabors. - Wie der deutsche
Wissenschaftler denn die Liste bewerte, die mein Bekannter, der Tierarzt,
angelegt hatte. Da stehe bei jedem Pferd "klinisch gesund, keine
Symptome". - Völlig wertlos sei sie. - Ratlosigkeit. - Ob es denn andere
Möglichkeiten gebe, den Zustand der Pferde zu beurteilen. - Er, sagte der
deutsche Wissenschaftler, gebe mir die Telefonnummer seines russischen
Kollegen, mit dem er das Auftreten von Beschälseuche unter mongolischen Pferden
untersucht habe. - Ich schöpfte Hoffnung und rief an - von der Post in diesem
weltabgeschiedenen Ulaangom in Moskau, beim Leiter des Veterinärlabors der
All-russischen Akademie der Wissenschaften, richtete Grüße von dem deutschen
Wissenschaftler aus und: Ja, er sei gern bereit, das Blut der mongolischen
Pferde serologisch zu untersuchen.
Nun ging alles seinen Gang: ein junger Tierarzt nahm Blut von jedem
einzelnen Pferd. Im Labor in Ulaanbaatar wurde es zentrifugiert. Eine
mongolische Bekannte flog mit dem Serum nach Moskau und lieferte es persönlich
im Labor ab.
Zu Hause erhielt ich die Mitteilung: die Pferde seien sero-negativ
bezüglich Infekt. Anämie, Rotz, Beschälseuche und sieben weitere Erreger. Die
russischen Bestimmungen über den internationalen Tierhandel sind sehr viel
strenger als die der Europäischen Union. Diese Hürde war wenigstens genommen.
Dann hieß es zu warten. Aus der Steppe hörte ich - nichts. Dann: der
Verkäufer habe die Pferde auf den Weg zur Grenze geschickt. Dann: der Regen
habe die Flüsse anschwellen lassen. Dann: an der Grenze seien zu viele Russen.
Der Lastwagen aus dem Bezirk Belgorod sei noch nicht zur Stelle. Dann:
die Treiber ließen mitteilen, sie kehrten mit den Pferden um, sie könnten sich
nicht solange im Grenzgebiet aufhalten, ohne aufzufallen Dann ließ mir mein
russischer Bekannter mitteilen, er fahre nach Hause, wenn die Pferde nicht
umgehend über die Grenze gebracht würden. Jetzt hört sich das so einfach an:
man ließ mir mitteilen. Aber dazu musste zunächst mein Kontaktmann, der
Tierarzt in Ulaangom erfahren, was die Treiber vorhatten, die sich am
nördlichen Ende des Uvs nuur mit den Pferden herumtrieben. Dazu rumpelte er mit
seinem Geländewagen russischer Herkunft hinauf in den Norden und wieder zurück.
Dann musste er jemanden in Ulaanbaatar bitten mir mitzuteilen, vor zwei Tagen
hätten die Treiber dies und jenes beobachtet oder beschlossen. Mein russischer
Freund konnte nur nach Kyzyl fahren und von dort in Stariy Oskol anrufen: er
habe noch keine Pferde gesehen, und wenn er bis nächsten Tag keine sehe, dann
fahre er die zweitausend Kilometer nach Westrußland zurück.
Kurz und gut: Anfang November 2003 traf der russische Lastwagen mit acht
mongolischen Pferden, einem Hengst, zwei Wallachen und fünf Stuten bei uns ein.
Alles war gut gegangen.
Reisebericht aus dem Sommer 2012
Der Weg nach Osten
Ich bin 520 km gegangen.
Zusammen mit meiner Frau, also wir sind 520 km gegangen. Wir bilden uns
nichts
darauf ein. Wir sind wieder zu Hause und es ist, als wäre es
nicht geschehen.
Meine Frau geht weiter ihrer Arbeit in der Bücherei nach und
erzählt etwas dem
einen oder anderen Besucher, wenn sie Zeit hat, ich meine, wenn ihr die
Arbeit
die Zeit zum Erzählen lässt. Sie muss neue
Bücher katalogisieren, Bücher zurücknehmen
und ausgeben. Es hört sich gut an: 520 km. Es hätten
auch 530 km werden können,
aber dann hätten wir nach einer langen Mittagspause noch
einmal aufbrechen
müssen, - eben für die letzten zehn Kilometer, um die
wir Choibalsan noch näher
gekommen wären. Sie wissen nicht, wo Choibalsan liegt, woher
auch. Choibalsan
liegt ganz im Osten der Mongolei, in der Nähe der Grenze zu
China. Choibalsan
noch näher zu kommen, vielleicht gar
die
Stadt zu erreichen, hat uns nicht mehr gereizt. Die Antilopen-Herden
hätten wir
auf den letzten achtzig Kilometer, die uns von Choibalsan trennten,
auch nicht
mehr gesehen. Die Antilopen waren nämlich nicht mehr da. Sie
waren weg. In
jedem Reiseführer steht, - steht immer noch -, im Osten der
Mongolei müsse man
sich geradezu einen Weg durch große Herden von Antilopen
bahnen. Zu Tausenden
würden sie entlang des Kherlen grasen. Vielleicht oder sicher
grasten sie
einmal dort. Aber seitdem sind an die zwanzig Jahre vergangen und jetzt
grasen
dort Ziegen, Schafe, Rinder, Pferde und Kamele, die fünf Arten
großer Tiere
eben, die ein mongolischer Nomade hält, nun ja, Kamele
hält nicht jeder. Aber
darum geht es nicht. Es geht um die Antilopen. Sie sollen sich vom
Fluß in die
Berge zurückgezogen haben, sagte uns der Zoo-Technologe
Munkhbayar. Das Vieh
habe sie verdrängt. Das ist natürlich nicht richtig.
Der Mensch hat sie
verdrängt. Der mongolische Nomade hat sie verdrängt,
genau derjenige, der mir
den Schemel eine Armlänge links von dem Punkt
zurechtrückt, der der Tür
gegenüber liegt. Und meiner Frau bietet er den Schemel rechts
von mir an. Ein
Nomade achtet auf die Rangordnung: ich bin der Mann und
außerdem bin ich älter
als meine Frau. Deswegen reicht
mir die
Frau des Nomaden noch
vor meiner Frau
eine Schale Tee. Und ich nehme die Schale mit der rechten Hand, die ich
mit der
linken stütze. So gehört es sich. Genau dieser Nomade
hat mir die Antilopen
verdrängt, und der Nomade, in dessen Ger wir zwischen
Jargalantkhaan und dem
abendlichen Treffpunkt gegessen und getrunken hatten, der hat sie auch
verdrängt, und die Familie bei Bayan Ovoo, wo wir zum ersten
Mal weiße Speisen
gegessen hatten, sie war auch beteiligt und sogar die freundliche
Familie, die
ein Ovoo-Fest vorbereitete und uns Schalen mit Buuz anbot. Alle haben
sie
mitgemacht und die Antilopen aus dem Flusstal in die Berge vertrieben.
Aber ich
sage Ihnen etwas: wir waren es auch. Die mongolischen Antilopen werden
durch
die Autobahnen in Deutschland bedrängt und durch
Gewerbegebiete und
Neubauviertel und Flughäfen. Ich kann Ihnen diese Erkenntnis
nicht ersparen.
Genau Sie und Sie auch, ihr alle zerstört die Natur in der
Mongolei. Das meine
ich natürlich nur bildlich. Am meisten zerstören sie
diejenigen, die hinfliegen
und sich über dieses traditionsverbundene Naturvolk freuen.
Ihr Reisebegleiter
führt die Hammelherde in einen Ger, nachdem er diese suchenden
Europäer ermahnt
hatte, weder auf die Schwelle der Tür zu treten, noch den Kopf
am Türrahmen
anzuschlagen. Und pfeifen dürfe man im Ger auch nicht, das
bringe Unheil. Und
dass mir keiner die Füße einfach zum Ofen hin
ausstreckt. Oder
die Schuhe auszieht. Das gehört sich
einfach nicht. Seit den Zeiten von Dschinggis khan nicht. Sogar die
Kommunisten
hätten darüber hinweggesehen, dass die Nomadenfrau am
Morgen die Naturgeister
günstig zu stimmen versucht, indem sie vor dem Ger Milchtee in
die vier
Himmelsrichtungen verspritzt. Und am Abend füllt der Herr die
Schale, die vor
dem Messingbuddha steht, mit Schnaps. Das ist echte, das ist naive
Religiosität, sagt der Reiseleiter, und drängt seine
Leute zum Aufbruch und die
Europäer geben dem Nomaden mit freundlichem und
verständnisvollem Blick die
Hand und lassen taktvoll zehn Euro in der mongolischen Hand
zurück. Macht
zusammen vierzig Euro, hat sich gelohnt.
Touristen sind keine Menschen,
Touristen sind
Organismen, die Geld
abdrücken und Leistungen beanspruchen.
Meine Frau und ich wollten
keine Touristen sein. Einfach Menschen. Ich selbst bin
vierundsechzig Jahre alt, Hanne nur wenig
jünger, einundsechzig. Wir beide also wollten aus der Gegend
von Ulaanbaatar
aus aufbrechen und in etwas weniger als drei Wochen weit nach Osten
wandern.
Ich muss zugeben, wir hatten uns von Gepäck befreit. Taschen
und Rucksäcke
mitsamt dem Zelt wurden im Furgon von Treffpunkt zu Treffpunkt
gebracht. Am Morgen
legte Hanne die Koordinaten fest, die für uns und für
den Fahrer des Furgon
galten. Der Furgon hat aus der Zeit überlebt, als noch jedes
Auto, jeder
Lastwagen aus der Sowjetunion kam. Als Kleinbus mit Vierradantrieb
verband er
die Hauptstadt mit den Aimag, solange die Sowjetunion die Mongolen mit
billigem
Treibstoff versorgte, anders hätten ihn sich die Mongolen
nicht leisten können,
allein schon wegen der 22 Liter, die er auf hundert Kilometer
schluckte. Dafür
fuhr er jede Böschung hinunter, sprang quer über
gefurchte Pisten und pflügte
durch seichte Flüsse. Aber man sollte sich gut festhalten,
nasse Füße bekam man
bei der Flussdurchquerung nicht, denn man saß hoch
über dem Boden – und wurde
gegen das Wagendach geschleudert oder
fiel vor dem gegenüber Sitzenden
auf die
Knie, wenn der Furgon über Wurzeln und Schlaglöcher
sprang. In
Benzindunst-gesättigter Atmosphäre erstirbt bald
jedes Gejohle, mit dem sonst
Fahrgäste jeden
Schlagloch-Hopser
begleiten. Nach der Heimkehr vom Urlaub wissen sie gute Luft umso mehr
zu
schätzen.
Am Morgen des 26. Mai
landeten wir auf dem Flughafen der Hauptstadt, der seit kurzem nach dem
einen
großen Mongolen benannt ist, den man gerade noch in Europa
kennt: nach dem
Herrscher Dschinggis. Für den Westen ist er ein
blutrünstiger Eroberer und
Schlächter. Ich denke nicht, dass die Mongolen von den
herrlichen Zeiten
träumen, in denen ihre Reiterheere den Schrecken nach Westen
und nach Süden
getragen haben. Vielleicht ist er für sie der Mann, der alle
mongolischen
Stämme vereint hat, aber sogar in dieser Hinsicht ist er kaum
ein Vorbild. Die
Mongolen werden allenfalls unter chinesischer Herrschaft wiedervereint,
ganz
sicher nicht mehr in den Grenzen eines unabhängigen Staates.
Dschinggis Khaan
nimmt den Touristen an der Hand und führt ihn durch die
Andenkenläden und lässt
nicht locker, bis der Tourist wenigstens ein T-shirt mit dem Abbild des
gütigen
Urvaters eingepackt hat, – und wenn auch erst vor dem
Heimflug.
Es war kalt. Unter
Graupelschauern beeilten wir uns, das Gepäck zum Wagen zu
bringen, mit dem uns
Nyamchin und Batsukh abgeholt hatten, Nyamchin, der Fahrer und Koch und
Kamerad
von Batsukh, dem Übersetzer. Ich behaupte nicht, Mongolisch zu
sprechen. Ich
kann auf Mongolisch fragen, ob es wohl morgen regne. Ich werde bei den
vielen
Familien, in deren Ger wir uns ausruhen, oft sagen – und zwar
auf Mongolisch:
wir kämen aus Ulaanbaatar und gingen nach Choibalsan. Ich kann
auch noch die
Bilder erklären, die unsere Familie zeigen. Das da sei unsere
Tochter mit einem
ihrer vier Jungen und die beiden seien meine Eltern. Neunundachtzig und
fünfundachtzig Jahre alt. So sehe meine Weide im Mai aus. Aber
Batsukh soll für
mich fragen, wie man ein Pferd einreitet, wie man ein Pferd ganz ruhig
macht.
Ich will auch wissen, was in einem Mann vorgeht, wenn er die
ausgedörrten,
abgeweideten Ebenen betrachtet, denen seine Schafe und Ziegen den
letzten Rest
geben. Was denkt er, wenn er seine klapperdürren Pferde
anschaut, - das werde
ich Batsukh fragen lassen. Batsukh ist so alt wie ich. Wenn ich die
Zahl meiner
Pferde verringere und nicht mehr so viel für Heu und Pacht und
Halfter ausgebe,
können wir uns eine
oder auch zwei
Urlaubsreisen im Jahr leisten. Er
muss
mit Touristen durchs Land fahren und den ewig gleichen Quark
erzählen, von
buddhistischen und schamanistischen Ovoos, von der Rangordnung und vom
Schnupftabakfläschchen. Die Pension für
dreißig Jahre Arbeit an Botschaften und
Ministerien und im staatlichen Außenhandel reicht, um den
Tank seines Furgon
zweimal zu füllen. Die Einnahmen aus den wochenlangen Fahrten
reichen nicht, um
das Leiden erträglicher zu machen: in sinnloser Bosheit hat
sich sein Körper
gegen sich selbst gewendet und sein Rückgrat
versteift. Seine Frau, sagte er, leide an
einem Tumor, eine Operation
habe mit größerer Wahrscheinlichkeit den Tod als die
Genesung zur Folge. Sie
würden sich mit chinesischer und mongolischer traditioneller
Medizin behelfen.
Er hätte auch sagen können: wir investieren da nicht
mehr viel, der Tod kommt
ohnehin, aber vielleicht ein paar Wochen oder Monate später,
aber wir wollen
wenigstens die Möglichkeit eines Wunders nicht
ausschließen. Vielleicht hilft
dieser oder jener Pilz denn doch. Wer weiß.
Am Vormittag müsse am
Furgon noch etwas gemacht werden, - wir hatten nichts anderes erwartet
-, wir
müssten auch noch Proviant einkaufen, aber jetzt
könnten wir im „Anuujin“
frühstücken und darüber sprechen, wie wir
vorgehen wollten. – Ich hatte es
ihm email
für email genau geschildert:
wir möchten aus Ulaanbaatar hinausgebracht werden, dann
würden wir gehen und
uns an den und den Koordinaten wieder treffen und das jeden Tag, bis
wir in die
Gegend von Choibalsan kämen. Anscheinend hatte er meine mails
nicht genau
gelesen oder meinte, darüber müsse man erst noch
reden, vielleicht wollten wir
doch lieber nach Westen als nach Osten, zumal er im Westen einen
Nomaden gut
kenne, der Touristen gern auf seinen Pferden reiten lasse. Nun gut, er
müsse
uns jetzt noch einmal allein lassen; wir könnten uns um drei dem Kaufhaus treffen und
dann aus der Stadt
hinausfahren. Dann könnten wir ihm immer noch sagen, wohin er
mit uns fahren
solle.
Wir kannten das, ich will
sagen, wir kannten die Neigung von mongolischen Begleitern, besser als
der
Fremde zu wissen, was jener eigentlich und wirklich wolle. Manchmal ist
es wie
bei einem Trick mit Spielkarten: man lässt scheinbar fortwährend unter
zwei Möglichkeiten
auswählen und seltsamerweise bleibt zum Schluß die
Karte übrig, die sich das
„Opfer“ zu Beginn gemerkt hatte. Auf das Spiel
übertragen, das der mongolische
Begleiter mit dem Gast, seinem Opfer, treibt, geht das so: im Osten gab
es
einen großen Sturm, der die Masten der Stromleitung umknickte
wie
Streichhölzer, jetzt kann man unterwegs nicht tanken, weil die
Tankstellen
keinen Strom haben. Im Westen gibt es Strom. – Aber kann man
dann nicht nach
Westen wandern? – Im Westen führen die
Flüsse Hochwasser, man kann sie noch
nicht einmal zu Fuß überqueren, erst recht nicht zu
Pferd, allenfalls mit dem
Auto, wenn man eine Furt kennt. Buyanjargal lebt inmitten einer
Hochebene; man
könnte dort schöne Ausritte unternehmen. –
Auf dieses Spiel wollten wir uns
nicht einlassen: wir verstünden seine Sorgen, es werde schon
nicht so schlimm
werden und wir wollten nach Osten und zwar zu Fuß. Das
wollten wir Batsukh
erklären, wenn wir ihn wieder trafen.
Scharfer Wind jagte den
Staub über den Parlamentsplatz, Schneeflocken vermischten sich
mit dem Staub,
Graupeln trafen uns wie Geschosse. – Dann klarte es
für Minuten auf. Vielleicht
werde es doch nicht so schlimm, sagten wir uns, bevor uns die
Kälte und der
Wind ins Kaufhaus trieben. Oder sollten wir doch noch einmal in
Ulaanbaatar
übernachten, zumal wir auf dem Flug von Moskau nach
Ulaanbaatar sehr unbequem
gesessen und kaum geschlafen hatten. Batsukh hole uns
bestimmt nicht
vor halb vier ab, dann werde es vier, bis wir
die Stadt hinter uns gelassen hätten und gehen
könnten. – Aber wie sähe das
aus: wir hätten immer geschrieben, wir wollten gleich nach
unserer Ankunft aus
Ulaanbaatar hinausgebracht werden, und jetzt sei das nicht so gemeint
gewesen,
wir wollten besseres Wetter abwarten, dann könnten wir zu
unseren 600
Kilometern aufbrechen.- Nein, es gab keine Wahl, wir mussten heute
aufbrechen.
Wir würden in Batsukhs Achtung sinken und könnten
weiteren Versuchen, uns zu
überzeugen, keinen Widerstand entgegensetzen.
Um halb vier holten sie uns
gegenüber dem Kaufhaus ab. So, sagte ich, jetzt laden wir noch
das Gepäck ein
und dann geht es hinaus aus der Stadt. Wir sind schon viel zu lange
hier. Seit
unserem ersten Aufenthalt in der Mongolei und
bei jedem weiteren Besuch habe ich Angst,
in dieser elenden Stadt hängen zu bleiben und nicht aufs Land
zu kommen.
Hanne hatte aus der
TPC-Karte Koordinaten
abgelesen, der
Punkt der ersten Übernachtungu sollte in der Nähe
einer Brücke liegen, die über
den Tuul führt. Bei einem Maßstab von 1 zu 500 000
konnte dieser Punkt auch ein
oder zwei Kilometer von der Brücke entfernt liegen. Aber das
hatte keine
Bedeutung, denn Batsukh richtete sich nach denselben Koordinaten. Wir
mussten
uns also treffen, etwas anderes war gar nicht möglich.
Bald nach der Wende waren
wir zum ersten Mal in der Mongolei und danach noch einige Male, ich
konnte mich
in Ulaanbaatar orientieren. Ich wusste, in welcher Richtung der
Schwarzmarkt
lag, der natürlich schon lange kein
„Schwarzmarkt“ mehr war. Irgendwann fuhr
man über die Bahnlinie und dann war klar, wo Süden
und Norden waren. Der Tuul
kommt von Osten und mündet
am Rand der
Hauptstadt in das große Tal, durch das die Eisenbahnlinie
führt. Wir mussten
also irgendwann von
der Straße nach
Nalaikh abbiegen und – vorläufig wenigstens
– in Richtung Terelj fahren, aber
schließlich auch diese Straße verlassen, bevor sie
in die Berge führte. Aber
die beiden, Batsukh und Namchin, machten gar keine Anstalten, aus dem
unablässig strömenden
Verkehr auszuscheren und sich einen Weg zu suchen,
der durch die sich ausbreitenden Siedlungen aus Jurten und Bretterbuden
hinüber
zu den Bergen führt. Ob das denn die richtige Straße
sei? Ja, das sei eine gute
Straße, eine Teerstraße, auf dieser
Straße komme man schnell voran. – Ob diese
Straße nicht nach Nalaikh führe? – Ja ja,
Nailaikh. – Aber wir wollten doch
nicht nach Nalaikh. – Ihr wollt nicht nach Nalaikh?
– Nein, wir wollen zu dem
Punkt, den wir dir genannt haben und deswegen müsst ihr die
Straße fahren, die
weiter nördlich liegen müsste. – Weiter
nördlich? Die Straße kennen wir gar
nicht.- Also, auf alle Fälle haben wir euch einen Punkt
gegeben und von
diesem Punkt aus wollen wir gehen und
treffen euch an der Brücke. – Aber wollt ihr nicht
nach Terelj und zuerst dort
übernachten? Dort hat es ein Touristenlager.- Wir
müssen zuerst ein wenig in
Richtung Terelj fahren, ja, das stimmt, aber wir wollen am Tuul
aussteigen und
den Fluss entlang gehen und deswegen müsst ihr jetzt nach
links abbiegen, sonst
wird es zu spät, bis wir losgehen können. –
Die beiden unterhielten sich und
nach wenigen hundert Metern bog Namchin nach links ab. Der Furgon
rumpelte und
holperte die Straße entlang, die endlich nach Nordosten
führte. Ulaanbaatar
wuchert wie ein Krebsgeschwür. Vom Tal ziehen sich die
Siedlungen die Hänge
hinauf. Hinter der Flanke eines Hügels, den die
Straße überquert, blickt man
auf die nächste Siedlung, die aber immer noch nicht die letzte
ist und eine
gleicht der anderen: Bretterwände, denen ganze Wälder
zum Opfer gefallen sind,
Jurten oder auf Mongolisch Ger und Hütten, um sie herum Auto
oder Teile von
Fahrzeugen, Reifen, Motoren, Schrott, Dreck, Plastik. In der Ecke des
Bretterzauns eine Abtrittbude. Das muss so sein. Schließlich
kann man nicht
mehr in die Steppe hinausgehen, Sie wissen schon. – Die Piste
entlang armselige
Buden aus Brettern oder bröckeligen Ziegeln: Khunsnii baraa
oder Delguur, also
Läden, w wir Süßigkeiten, Persil und
Coca-Cola und Haar-Shampoo und Kekse
kaufen könnten, wären wir nicht schon für
die ersten Tage versorgt.- Manche
Familie hatte es immerhin geschafft:
dann stand innerhalb des Gevierts aus Lärchenbrettern ein
Mitsubishi
Geländewagen mit dunkel getönten Scheiben. Oder ein
Lastwagen.
Batsukhs Furgon
kletterte die ausgewaschene
Straße hoch, hinter den letzten
Häuser sahen wir auf die Talebene
hinunter, eine wellige Ebene aus Sand und Schotter. – Sie
könnten uns dort
unten absetzen. Wir würden jetzt gehen.
– Gut, wir treffen euch dann an der
Brücke. Vier bis fünf Stunden wird
es schon dauern. – Dann waren wir beide allein. Endlich
allein und mit dem
guten Gefühl, uns durchgesetzt zu haben und auch angesichts
des Wetters nicht
schwach geworden zu sein. Und schon musste ich dem Hut hinterherrennen,
den mir
der Sturm vom Kopf
gerissen hatte.
Schneegestöber verschleierte das Tal in der Ferne,
dämpfte das junge Grün der
Pappeln. Zur Rechten strömte der Tuul der Hauptstadt zu, die
ihm ihren Müll
aufladen wird. Im Juli wird es regnen und dann füllt der Tuul
das Tal aus und
wird wegschwemmen, was die naturliebenden Stadtmongolen hinterlassen,
wenn sie
am Wochenende aus der Stadt hinausfahren. Dann kehren sie für
einen Tag zurück
zur Lebensweise ihrer Eltern oder Großeltern, lagern zwischen
den Pappeln und
grillen und kochen und schlemmen und trinken. Wir konnten es uns
vorstellen,
wie wir die Plastikflaschen und Chips-Tüten und Batterien
sahen, auch die
Autoreifen und Einkaufstüten und Tetrapacks und die
zersplitterten
Schnapsflaschen. Es scheint sehr unterhaltsam zu sein und ein
angenehmes Gefühl
zu verschaffen, wenn man eine Schnapsflasche zerschmettert.
Ich hatte mich in
Ulaanbaatar nicht mehr umgezogen und hatte mir auch im Auto nicht mehr
die Zeit
genommen, den Rucksack nach einem Pullover durchzukramen, und das war
ein
Fehler. Die dünne Hose war kein Schutz gegen den kalten,
böigen Wind, der sogar
auf dem Tuul die Wellen gegen die Strömung bergauf trieb. Nur
im Pappelhain
waren wir ihm weniger ausgesetzt...
Lesen Sie den ganzen Reisebericht "Der Weg nach Osten" im pdf Format hier.
Weitere Reiseberichte:
Reisebericht aus
dem Jahr 2009: "Nach Norden"
Reisebericht aus
dem Jahr 2011: "Auf dem Weg nach Nordwesten"
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